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Beschaffungsmanagement im Krankenhaus: Herausforderungen und Implikationen der neuen Rahmenbedingungen im Gesundheitsökosystem

Montag, 8. April 2024

Beschaffungsmanagement im Krankenhaus: Herausforderungen und Implikationen der neuen Rahmenbedingungen im Gesundheitsökosystem

Kein Geld, kein Personal, dafür kontinuierlich im Krisen-Modus und mit komplexen regulatorischen Anforderungen konfrontiert – deutsche Krankenhäuser geraten zunehmend in eine Abwärtsspirale. Um die neuen Rahmenbedingungen im Gesundheitsökosystem und die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern, muss ein Umdenken im Beschaffungsmanagement stattfinden. Der Weg in eine erfolgversprechendere Zukunft der Branche führt nicht nur über eine Transformation der Prozesse, sondern vor allem über digitale Technologien.

 

 


 

Nichts ist so beständig wie der Wandel – was einst der griechische Philosoph Heraklit zum Besten gegeben hat, könnte heutzutage auch das Berufscredo eines Einkäufers im Krankenhaus sein. Nachdem im Gesundheitswesen über Jahre preisorientierte Einkaufstrategien dominierten, die lediglich darauf ausgerichtet waren, das beste Produkt zum günstigsten Preis einzukaufen, sind die Anforderungen für den Einkauf und das damit verbundene Beschaffungsmanagement im Krankenhaus mittlerweile nicht nur hochgradig komplex, sondern vor allem dynamisch.

Die Gründe dafür liegen einerseits in Lieferengpässen, die lange nicht dagewesene Krisen – von der Corona-Pandemie über den Ukraine-Krieg bis hin zur Energie-Krise samt Inflation – mit sich gebracht haben, andererseits aber auch an regulatorischen Eingriffen des Gesetzgebers. Mit der Medical Device Regulation (MDR), dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sowie dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) haben sich die Rahmenbedingungen im Gesundheitsökosystem grundlegend verändert. Die erklärten Ziele, die Nachverfolgbarkeit medizinischer Produkte zu verbessern, die Einhaltung von Menschenrechten innerhalb globaler Lieferketten zu fördern und die Digitalisierung in den Fokus zu rücken, müssen zweifelsfrei angepackt werden; für Kliniken gehen sie allerdings mit neuen Herausforderungen einher.

 


 

Neben geo- und gesellschaftspolitischen sowie globalen Krisen wie dem Klimawandel hat vor allem das deutsche Gesundheitswesen zusätzlich mit zwei Problemen zu kämpfen, die quasi omnipräsent sind: Kostendruck und Fachkräftemangel. Laut der letzten Roland Berger Krankenhaus-Studie schreibt mehr als die Hälfte aller deutschen Kliniken rote Zahlen. Die befragten Entscheider erwarten, dass in den kommenden zehn Jahren fast jedes dritte Krankenhaus schließen muss. Einzig positiver Nebeneffekt ist die Tatsache, dass das Krankenhaus-Sterben zu einer leichten Entspannung der Personalsituation führen würde, da bei einer Schließungswelle logischerweise Ressourcen freigesetzt werden.

Dass letztgenannter Gedanke ein Hoffnungsschimmer ist, zeigt das ganze Ausmaß des Dilemmas für Krankenhäuser, die sich in einer gefühlten Abwärtsspirale befinden, aus der sie nicht ausbrechen können. Kein Geld, kein Personal, dafür kontinuierlich im Krisen-Modus und mit komplexen regulatorischen Anforderungen konfrontiert – die zahlreichen Herausforderungen im zunehmend komplexer werdenden Gesundheitsökosystem werfen die Frage auf, wie Gesundheitsorganisationen den Turnaround schaffen können.

 


 

Eine einfache Antwort gibt es nicht, allerdings einen Ansatzpunkt: das Beschaffungsmanagement im Krankenhaus. Hier laufen die Fäden zusammen, hier können Einkäufer, Logistiker und andere Fachexperten auf die stetig steigenden Anforderungen und Herausforderungen reagieren und so die Weichen für eine krisensicherere Zukunft des Gesundheitswesens stellen, indem sie die folgenden fünf großen Themen angehen.

 

Infographik: Fünf Hebel für krisensicherere Beschaffungsprozesse im Krankenhaus.

 

1. Aufbau resilienter Lieferketten

Eine der großen Herausforderungen wird künftig sein, Versorgungsengpässe abzufedern. Gelingen kann das durch den Aufbau resilienter Lieferketten, die es Krankenhäusern ermöglichen, auch in unsicheren Zeiten schnell und angemessen auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Die Handlungsfähigkeit hängt dabei auch von der Anzahl der Lieferanten ab. Krankenhäuser müssen sich von Single-Sourcing-Strategien verabschieden und stattdessen ein intaktes Lieferanten-Netzwerk aufbauen, sodass unvorhersehbare Nachfrageänderungen die Lieferkette nicht ins Wanken bringen.

Flexibilität sollte nicht nur bei der Wahl der Lieferanten großgeschrieben werden, sondern auch bei der Vertragsgestaltung. Während Verantwortliche lange Zeit nur Rabattverträge mit möglichst niedrigen Preisen ausgehandelt haben, sind sie nun gut beraten, auf flexible Verträge zu setzen, die von Strafklauseln bei Anbieterwechseln absehen. Noch widerstandsfähiger wird die Lieferkette, wenn die Lieferanten mit Herstellern zusammenarbeiten, die in verschiedenen Märkten produzieren, und digitale Frühwarnsysteme etabliert haben, um Krankenhäuser bei möglichen Engpässen präventiv zu informieren.

 

2. Berücksichtigung von Nachhaltigkeits-Kriterien

Ebenfalls immer mehr in den Fokus rückt das Thema Nachhaltigkeit. Das Gesundheitswesen, allen voran die Krankenhäuser, verursachen einen ökologischen Fußabdruck, der mit den ambitionierten Zielen, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften, nicht vereinbar ist. In Deutschland verursacht die Gesundheitsbranche knapp 5,2% der nationalen CO2-Emmissionen und liegt bei den Verursachern von Treibhausgasen damit noch vor der Schifffahrt und dem Flugverkehr.

Mit Blick auf die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), einer Richtlinie für die Berichterstattung von Nachhaltigkeitsaspekten, kommen Krankenhäuser spätestens ab 2025 nicht mehr daran vorbei, grüner zu wirtschaften. Dabei rücken vor allem die sogenannten Scope-3-Emmissionen in den Fokus, also der CO2-Ausstoß, der auf den zuliefernden Bereich zurückzuführen ist. Weil die Scope-3-Emmissionen in deutschen Krankenhäusern mehr als 70 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes verursachen, sind die vor- und nachgelagerten Lieferketten die Stellschrauben für eine Reduktion der Treibhausgase.

Um ihre Beschaffungsprozesse nachhaltiger zu gestalten, müssen Krankenhäuser künftig ökologische Potenziale identifizieren. Denkbar sind neue Warengruppenstrategien, die Kriterien wie Müllvermeidung, das Recycling von Verbrauchsmaterialien oder die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten abbilden. Sofern Krankenhäuser valide Daten zu Recyclingquoten, Verbrauchsanalysen oder Informationen zu Lieferanten, die Umwelt- und Arbeitsschutzsysteme berücksichtigen, gewinnen und ihrem Einkauf bereitstellen, können Maßnahmen ergriffen werden, um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren.

 

3. Einführung einer wertorientierten Beschaffung

Die beiden vorangegangenen Handlungsempfehlungen verdeutlichen, dass der Preis längst nicht mehr das alleinige Kriterium für die Wahl eines Produkts sein kann. Im Sinne einer wertorientierten Beschaffung (Value Based Procurement) müssen Krankenhäuser den Gesamtwert eines Produkts ermitteln. Es gilt nicht nur zu verstehen, unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wird oder wie hoch das Risiko für Lieferprobleme ist, sondern auch, welchen Einfluss das Produkt auf die tatsächlichen Versorgungskosten hat, inklusive Patientenergebnisse und scheinbar äußere Faktoren wie die Umwelt.

 

4. Erhebung und Nutzung von Daten

Für Krankenhäuser wird es damit künftig nicht nur wichtiger, sondern zwingend notwendig, Daten zu erheben, zu analysieren und aus den gewonnenen Erkenntnissen die richtigen Rückschlüsse zu ziehen, um ihre Beschaffungsprozesse zu optimieren. Ob beim Lieferanten-Management inklusive der Aushandlung flexibler Verträge, der Berücksichtigung von Nachhaltigkeits-Kriterien im Sinne des Value-Based-Procurement-Ansatzes oder mit Blick auf eine bedarfsgerechte Steuerung der Bestände – aktuelle und fehlerfreie Daten bilden künftig die Grundlage für ein effizientes Beschaffungsmanagement im Krankenhaus. Dabei wird der Nutzen für Gesundheitsorganisationen umso größer, je mehr Fachabteilungen auf die Daten zugreifen und sie für die Optimierung ihrer Prozesse nutzen.

Dieses Szenario lässt sich nur erreichen, wenn die erzeugten Daten interoperabel verarbeitet werden. Informations-Silos und Medienbrüche müssen endlich der Vergangenheit angehören, stattdessen müssen Krankenhäuser nahtlose Datenflüsse etablieren. Durch die Einführung von interoperablen Prozessen, die übrigens zentraler Baustein des Krankenhauszukunftsgesetzes und für den Austausch von wesentlichen Gesundheitsdaten ab 2025 verpflichtend sind, senken Gesundheitsorganisationen nicht nur ihre nachgelagerten Kosten, sie schaffen auch die nötige Transparenz, um ihre Beschaffung krisensicherer und bedarfsgerecht aufzustellen.

 

5. Förderung von New Work-Konzepten

Nicht minder wichtig ist es, den Arbeitsplatz und den Pflegeberuf wieder attraktiv zu gestalten. Die Überbelastung des Stationspersonals, das sich eigentlich primär um das Wohl der Patienten kümmern sollte, ist auch auf den Umstand zurückzuführen, dass pro Woche mehrere Stunden für nicht-klinische Aufgaben anfallen. Bestandszählungen, Bestandsaufstockung, Kontrolle und Dokumentation von Verfallsdaten – die Liste von zeitintensiven, weil von manuellen Prozessen geprägten Aufgaben ist lang. Kaum verwunderlich, dass laut einer PwC-Studie weniger als ein Drittel der Beschäftigten in der Pflege und der Medizin daran glauben, Menschen wirklich helfen zu können.

Um einen neuen beruflichen Idealismus zu entfachen und den Fachkräftemangel zu stoppen, ist es an der Zeit, auch im Gesundheitswesen auf New Work-Konzepte und die klinischen Fachkräfte vom Beschaffungsmanagement zu befreien. Krankenhäuser mit flachen Hierarchien, interprofessionellen Teams und der Ausrichtung auf eine stärkere Selbstverwirklichung des Pflegepersonals, das sich neben Zeit für den Patienten auch mehr Mitsprache wünscht, können zusätzlich punkten, wenn sie Technologien einführen, die das Anforderungs- und Bestandsmanagement automatisieren und so die Last von den Schultern der Stationsmitarbeiter nehmen.

 

Die gewünschte Automatisierung der Prozesse führt über eine Transformation der Beschaffung. Durch die Ablösung manueller Aufgaben durch digitale Lösungen werden Daten erzeugt, die durch eine Integration in die Warenwirtschaft und andere Informationssysteme effizient verteilt und ganzheitlich genutzt werden können. Das schafft Transparenz, schärft die Prozesse und entlastet das Personal – im Einkauf, in der Logistik, den Finanzabteilungen und auf der Station.

Die Grundvoraussetzung für eine Optimierung des Beschaffungsmanagements ist der Anschluss an ein Business-Netzwerk, das Krankenhäusern und Lieferanten einen effizienten Austausch von Artikel- und Preisinformationen sowie deren Verfügbarkeit und Lieferzeiten ermöglicht. Wenn alle Transaktionen – von der Bestellung über Bestellbestätigung und Lieferschein bis zur Rechnung – digital und automatisiert verarbeitet werden, gewinnen Gesundheitsorganisationen wichtige Daten, die vor allem in Krisenzeiten nötig sind, um das Lieferanten-Management zu verbessern und eine widerstandsfähige Beschaffung aufzubauen.

 


 

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz, mehr Kontrolle sowie mehr Autonomie bei gleichzeitiger Entlastung der medizinischen Fachkräfte ist die Transformation der Bedarfsanforderung. Wenn es Krankenhäusern ihren Bedarfsträgern leicht machen, die richtigen Produkte zum richtigen Preis zu finden, müssen sie für die Nachverfolgung von Anfragen weniger Zeit aufwenden und sind in der Lage, ihre Lieferungen effizient zu verwalten.

 

 

Digitale Lösungen sind dabei ideal, um unkontrollierbare Ausgaben zu reduzieren. Krankenhäuser müssen ihre Anforderer auf der Station und im OP-Saal zwar befähigen, medizinische Produkte und Verbrauchsmaterialien zu bestellen, der Einkauf sollte durch Freigabe-Workflows aber weiterhin die Kontrolle behalten. Sofern die Lösung intuitiv aufgebaut und mit Barcode-Scannern kompatibel ist, führt das unweigerlich zu einer Entlastung der klinischen Fachkräfte, deren Anforderungen idealerweise in der Warenwirtschaft abgebildet werden, um die nötigen Daten für eine Optimierung der Beschaffung zu gewinnen. 

 


 

Mehr Automation und Transparenz müssen auch Einzug ins Bestandsmanagement erhalten – eine Domäne im Krankenhaus, die oftmals von manuellen Prozessen geprägt ist. Werden Lagerbestände, Verbrauchs- oder Ablaufdaten in Tabellenkalkulationen eingegeben oder gar mit Stift und Papier verfolgt, sind diese Strukturen logischerweise hochgradig ineffizient. Die Folgewirkungen sind dramatisch: Krankenhäuser wissen nicht, wo sich ihre wichtigsten Artikel gerade befinden, welche Artikel in Kürze ablaufen oder welche Artikel kurz- bis mittelfristig nachbestellt werden müssen. Diese fehlende Transparenz führt nicht nur zu einer hohen Verschwendung, die alles andere als nachhaltig ist; auch die im Gesundheitswesen begrenzten Lagerkapazitäten werden so sehr wahrscheinlich nicht optimal genutzt.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, auch im Bestandsmanagement auf digitale Technologien zu setzen. Durch das Zusammenspiel von Software-Lösungen und Barcode-Scannern lassen sich Prozesse automatisieren, die einerseits das Personal entlasten, andererseits aber auch Daten generieren, um die gewünschte Transparenz zu erreichen. Ob Bestandserfassung auf Station und im OP-Saal, standortspezifische Verbrauchsanalysen oder eine digitale Dokumentation von Verfallsdaten – wenn die dazugehörigen Daten gesammelt, analysiert und daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden, können Lagerkapazitäten optimiert, Abfälle reduziert und eine wirklich bedarfsgerechte Beschaffung im Sinne des Value-Based-Procurement-Ansatzes eingeführt werden.

 


 

Es steht außer Frage, dass wir uns in unruhigen Zeiten bewegen, die das Beschaffungsmanagement noch komplexer machen als es die neuen Regularien ohnehin schon tun. Um das Risiko von Lieferengpässen abzufedern, nachhaltigen Strategien zu etablieren und die wahren Kosten der Versorgung zu verstehen, ist es für Krankenhäuser unerlässlich, die Komplexität zu reduzieren, indem sie auf digitale Technologien setzen.

Durch die Einführung automatisierte Abläufe im Auftrags-, Anforderungs- und Bestandsmanagement profitieren sie von der Macht der Daten und legen so die Grundlage für verbesserte Entscheidungen. Nur so gelingt es Krankenhäusern, sich langfristig effizienter und gleichzeitig nachhaltiger aufzustellen. Für geringere Kosten in einer krisensichereren Beschaffung. Und nicht zuletzt für eine bessere Patientenversorgung.

 

Wollen Sie mehr darüber erfahren, wie sich das Beschaffungsmanagement effizienter gestalten lässt? Kontaktieren Sie mich gerne per E-Mail, oder treffen Sie mich am 13. und 14. Mai auf dem Beschaffungskongress der Krankenhäuser in Berlin, wo wir von GHX mit einem Stand vertreten sein werden, um zu zeigen, wie Gesundheitsorganisationen die neuen Rahmenbedingungen erfolgreich meistern können.

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Michael Stark

Key Account Manager