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Lieferkettengesetz unter der Lupe: Welche Auswirkungen hat das Gesetz für die Supply Chain im Gesundheitswesen?

Montag, 28. Februar 2022

Lieferkettengesetz unter der Lupe: Welche Folgen hat das Sorgfaltspflichtengesetz für die Lieferketten im Gesundheitswesen?Mit dem Lieferkettengesetz werden deutsche Unternehmen dazu verpflichtet, ihrer globalen Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards besser nachzukommen. Diese Vorgabe zu nachhaltigem Handeln wirft auch im Gesundheitswesen viele Fragen auf: Inwiefern sind die Lieferketten von den neuen Regelungen betroffen? Was ändert sich für Krankenhäuser im Einkauf? Und welche Auswirkungen hat das Gesetz für die Entwicklung digitaler Supply-Chain-Lösungen?

 

 

Es steht außer Frage, dass das Thema Nachhaltigkeit unser künftiges Handeln maßgeblich beeinflussen wird. Der Trend zeigt sich schon länger im B2C-Commerce: Für eine stetig wachsende Zahl der Kunden stellt sich bei einer Kaufentscheidung die Frage, wo und unter welchen Bedingungen ein Produkt gefertigt oder Lebensmittel angebaut werden. Das T-Shirt, das Näherinnen in einer einsturzgefährdeten Textilfabrik in Bangladesch produzieren, oder der Kaffee, der durch brasilianische Kinderhände den Weg nach Europa findet, schafft es nicht in die Warenkörbe der Endverbraucher. Der Einkauf wird nicht nur ökologischer, Privatkunden berücksichtigen bei Bestellungen im Internet oder dem Einkauf im Supermarkt längst auch soziale Faktoren.

Nun könnte man meinen, dass dieser Ansatz im unternehmerischen Kontext genauso funktioniert – dem ist bzw. war aber lange leider nicht so. Nachdem der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2011 die "Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte" verabschiedet hatte, setzte die deutsche Bundesregierung mit dem fünf Jahre später beschlossenen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung dieser Leitprinzipien auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen. Im Rahmen einer Überprüfung seitens der Bundesregierung stellte sich jedoch heraus, dass nur wenige Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nachkommen.

 

Als Konsequenz hat die Politik im vergangenen Juli ein Gesetz verabschiedet, das die Unternehmen in die Pflicht nimmt. Mit dem "Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten" (Sorgfaltspflichtengesetz oder Lieferkettengesetz) gibt es nun eine Grundlage, um deutsche Organisationen bei der Missachtung der globalen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zur Rechenschaft zu ziehen. Was heißt das konkret?

Ab 2023 müssen Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern dafür Sorge tragen, dass sie die menschenrechtlichen Risiken im Sinne des Lieferkettengesetzes (siehe Infokasten) bei der Wahl der unmittelbaren Geschäftspartner oder mittelbaren Lieferanten beachten. Tun sie das nicht, droht nicht nur ein Reputationsverlust, sondern auch eine empfindliche Geldstrafe, die im schlimmsten Fall 2% des Jahresumsatzes entspricht. Dass kleine und mittelständische Unternehmen vom Lieferkettengesetz nicht betroffen sind, stimmt zwar faktisch, doch der Imageschaden bei Verletzung von Menschenrechten oder Missachtung von Umweltstandards wird auch für sie in Zukunft immens sein. Deshalb gilt: Unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter sollten deshalb alle Unternehmen das Gesetz und die daraus abgeleiteten Folgen für ihre Reputation im Hinterkopf behalten.

Nachdem zuvor nur eine freiwillige Berichterstattungspflicht über Maßnahmen zur Einhaltung von Menschenrechten innerhalb der Lieferkette bestand, werden nun weitere verpflichtende Sorgfaltspflichten geregelt. Dabei müssen Unternehmen nicht nur eine Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte verabschieden, sondern auch eine Risikoanalyse durchführen und ein Verfahren zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen etablieren. Dieses Risikomanagement sollte Abhilfemaßnahmen enthalten, die unmittelbare Konsequenzen für den Geschäftsbetrieb haben können: Im Fall einer Verletzung der Menschenrechte oder Umweltstandards müssen Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich unverzüglich Maßnahmen ergreifen, die zwingend zur Beendigung der Verletzung führen.

 

 Sorgfaltspflichtengesetz im Überblick (Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales)

 Anwendungsbereich

  • ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Deutschland
  • ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern in Deutschland

 Reichweite

  • Eigener Geschäftsbereich, das heißt unmittelbare Geschäftspartner in der Lieferkette
  • Einbezug mittelbarer Geschäftspartner (Zulieferer) bei "substantiierte(r) Kenntnis" von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten

 Sorgfaltspflichten

  • Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte
  • Risikoanalyse: Verfahren zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte
  • Risikomanagement: Plan zur Abwendung potenziell negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte inkl. Abhilfemaßnahmen
  • Einrichtung von Beschwerdeverfahren
  • Dokumentation und Berichterstattung

 Menschenrechtliche Risiken

  • Unversehrtheit von Leben und Gesundheit
  • Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit
  • Schutz von Kindern und Freiheit von Kinderarbeit
  • Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen
  • Schutz vor Folter
  • Verbot der Missachtung der jeweils national geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes
  • Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns bzw. Einhaltung der Mindestlohnregelungen
  • Verbot der Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Beschäftigten
  • Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern bei dem Erwerb, der Bebauung oder anderweitigen Nutzung
  • Umweltbezogene Pflichten zum Schutz der menschlichen Gesundheit
  • Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle im Sinne des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle

 Haftung

  • Keine zivil- oder strafrechtlichen Folgen
  • Geldstrafen bei Missachtung der Sorgfaltspflichten (bis zu 2% des Jahresumsatzes)

 

Natürlich gilt das Lieferkettengesetz branchenübergreifend, und damit auch für das Gesundheitswesen. Wenn sie es noch nicht getan haben, müssen sich Hersteller von medizinischen Produkten und Verbrauchsgütern zwingend damit auseinandersetzen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte gefertigt und transportiert werden. Eine Risikoanalyse sollte für den gesamten Geschäftsbereich, aber auch für alle unmittelbaren Zulieferer durchgeführt werden, um die Risiken möglicher Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltstandards anhand von länderspezifischen Kriterien zu bewerten und ggf. Maßnahmen zu ergreifen – viel Arbeit, die aber unabdingbar sein wird. Bei Missachtung der Sorgfaltspflichten droht nämlich nicht nur eine Geldstrafe, viel schlimmer ist der Reputationsverlust für die Unternehmen.

Denn zur Lieferkette gehören zweifelsfrei auch die Beschaffer. Krankenhäuser und Einkaufsgemeinschaften kommen nicht daran vorbei, ihre Lieferanten auf den Prüfstand zu stellen. Es gilt zu untersuchen, welche Maßnahmen die Lieferanten bereits getroffen haben, um ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dabei sollten Gesundheitsorganisationen ihren Fokus nicht nur auf Zertifizierungen legen, die für kleine und mittelständische Hersteller und Lieferanten oftmals eine Hürde darstellen, sondern die ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie der Geschäftspartner bewerten.

 

Das Lieferkettengesetz mag erstmal eine trockene und auf den ersten Blick bürokratische Regelung sein. Ich bin mir aber sicher, dass es die globalen Lieferketten und damit auch den Einkauf im Gesundheitswesen nachhaltig verändern wird. Und nachhaltig ist hier genau das richtige Stichwort: Kliniken werden mehr und mehr auf nachhaltige Aspekte in der Lieferkette achten und entsprechende Lieferanten bevorzugen – nichts anderes beabsichtigt die neue Gesetzgebung, die damit meiner Meinung nach ein richtiges Signal gegen humanitäre, soziale und umweltbezogene Missstände setzt.

Mein Kollege Christoph Luz hat in einem vorherigen Beitrag bereits erklärt, warum der strategische Einkäufer im Krankenhaus beim Thema Nachhaltigkeit eine Schlüsselrolle einnimmt, auf dem Weg zum nachhaltigen Krankenhaus sind aber auch andere Akteure gefragt. Und dazu zählen auch Dienstleister wie GHX. Wir müssen künftig mehr Transparenz über den sozialen Fußabdruck von Herstellern und Lieferanten in unseren Lösungen integrieren. Bei der Wahl der Lieferanten sollten Kliniken einfach danach filtern können, dass für bestimmte Warengruppen nur Lieferanten in Betracht gezogen werden, die sowohl die Menschenrechte als auch Umweltstandards respektieren.

 

Ein Ansatzpunkt wäre, dass Lieferanten sich und ihre Produkte mit einem Humanity Label zertifizieren ließen und sich damit den Kliniken als erste Wahl empfohlen würden. So hätten Gesundheitsdienstleister die Gewissheit, dass sie fair hergestellte Produkte von Anbietern beziehen, die sich im Sinne des Lieferkettengesetzes vorbildlich verhalten. Weil die Informationen aber eine Selbstauskunft der Hersteller erfordern, die zum Beispiel die Einhaltung festgelegter Kriterien für bestimmte Warengruppen in ihrem Katalog veröffentlichen können, ist hier eine Zusammenarbeit gefragt, die alle Handelspartner der Supply Chain umfasst.

Ideal wäre ein globaler Standard für mehr Transparenz hinsichtlich der sozialen Aspekte innerhalb der Lieferkette, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu erreichen. Ich bin mir sicher, dass Lieferanten, die die Einhaltung von Menschenrechten und fairen Arbeitsbedingungen nicht nur propagieren, sondern wirklich leben, künftig zum bevorzugten Geschäftspartner werden und sich somit einen Wettbewerbsvorteil sichern. Und Krankenhausmitarbeiter, die während ihres Produktauswahlprozesses gezielt auf Zertifizierungen hingewiesen werden, bestellen automatisch sozial nachhaltig und sparen im Beschaffungsprozess wertvolle Zeit, die sie wieder den Patienten widmen können.

Das Lieferkettengesetz stellt also nicht nur eine Herausforderung dar, sondern bietet für alle Beteiligten – Lieferant, Krankenhaus und Supply-Chain-Technologie-Anbieter – vielmehr eine Chance, das Gesundheitswesen auf sozialere aber auch auf wirtschaftlich nachhaltige Grundsäulen zu stellen.

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Regine Böhm-Gams

Director EU Product Management & Marketing